Jenseits von
Links und Rechts

Ein neues Koordinatensystem für
den Wandel unserer Gesellschaft

Wie “links“ oder „rechts“ bin ich?

Ehrlich gesagt passen die alten Kategorien nicht für mich. Ich begeistere mich für „Entrepreneurship“ und Unternehmer*innengeist; Eigenverantwortung halte ich für ein wichtiges Thema. Auch, wenn ich nicht für den „totalen Markt“ bin, finde ich Marktmechanismen teilweise auch gut.

So manches im klassischen „linken“ Feld befremdet mich. Gut spüren konnte ich das letztens bei einem Vortragsabend in einem alten kommunistischen „Vereinshaus“ in Krems. So eine Dichte von frustriert wirkenden, verrauchten „Kopfmenschen“ hab‘ ich noch selten erlebt.

Das „Funktionärswesen“ der sozialistischen Parteien ist mir ebenso fremd, wie linke – auch grüne – Intellektuelle, die in Kampf und Abwertung Anderer ihre Identität und Bestätigung finden (die liebe Freda Meißner Blau, Gründerin der Grünen Partei in Österreich, hat sie in einem Gespräch bei den Pioneers mal „Eisenärsche“ genannt, weil sie stundenlang sitzen und alle „nieder-debattierten“ konnten).

Auch wenn ich auf wirtschaftliche, familienpolitische, bildungspolitische Themen schaue, passen für mich klassische Kategorisierungen nicht. Daher tue ich mir schwer, mich mit meiner Meinung, meinem „Gespür“ und meinen Werten zu verorten.

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Wir brauchen neue Kategorien!

Otto Scharmer hat vorige Woche in einem faszinierenden Artikel erläutert, warum das Denken in Rechts und Links der Vergangenheit angehört.– und was wir stattdessen brauchen.

Otto Scharmer ist international führender Systemwandel-Experte am amerikanischen MIT, Erfinder der U-Theorie – ich durfte ihn interviewen für den Online Summit 2018.

Scharmer erklärt in Axial Shift: The Decline of Trump, the Rise of the Greens, and the New Coordinates of Societal Change, dass es in unserer heutigen Welt ein ganz neues politisches Koordinatensystem braucht. Und zwar eines, was die klassische Kategorisierung zwischen Rechts und Links mit einer zweiten Achse erweitert.

Die zweite Achse bildet für ihn den Mindset / die Haltung ab, d.h. wie Open („verbunden“) oder wie Closed eine Politik ist. Dieses Koordinatensystem bezieht er aber nicht nur auf die Politik, sondern auch auf ökonomische und kulturelle Entwicklungen unserer Zeit (dazu später).

Er nennt das die …

Was für die Politik gilt, gilt auch für die Wirtschaft und die Kultur

In der Wirtschaft lässt sich das in den folgenden vier Achsen darstellen, auf denen man sich verorten kann: Staatliche Maßnahmen / Governmental Interventions (links), Marktmechanismen (rechts), Gemeinwohl (open) und Bruttosozialprodukt/GDP (closed).

In der Kultur – und dabei bezieht sich Scharmer vor allem auf die Bildung – sind diese Achsen: Öffentliche Schulen (links), Privatschulen (rechts), Ganzheitliche Potenzialentfaltung  / Whole Child (open), Auswendig lernen / Memorizing Knowledge (closed).

Die AFD und die Identitären wollen auch einen Wandel!

Ich hab‘ mich vor einiger Zeit mit dem Erfolg der aktionistisch und völkisch orientierten Identitären Bewegung in Österreich auseinandergesetzt. Meine Kollegin Stephi war sogar mal bei einem Stammtisch von ihnen, um menschlich empathisch herauszufinden, was wir gemeinsam haben.

Das Koordinatensystem von Scharmer hilft mir jetzt, den Unterschied zu benennen. Der liegt für mich in der Haltung, in der Offenheit von Geist, Herz und Willen. Ja, ich kann mich zu den Bedürfnissen der Menschen hinter der identitären Bewegung empathisch verbinden – und doch möchte ich mich von diesem „Mindset“ distanzieren, ihm möglichst keinen Raum geben.

Scharmer schreibt: If the difference on the vertical axis is not ideology, what is it? It is consciousness, that is, the quality of how we connect. The shift from the lower two quadrants to the upper two is a shift in consciousness from ego-system awareness to eco-system awareness, from me to we.

“Der wichtigste Durchbruch im 21. Jahrhundert
kommt nicht durch die Technologie zustande,
sondern durch ein erweiterndes Verständnis,
was es bedeutet, Mensch zu sein.”
John Naisbitt

Martin Kirchner ist Mitgründer der Pioneers of Change in Österreich